Postest du noch oder schreibst du schon?
Der schlechteste gut gemeinte Rat für angehende Autor:innen
Es ist das Highlight für jeden Bücherfan: deine Lieblingsautorin kündigt ein neues Buch an. Gerade ist meine Vorfreude doppelt groß: sowohl Taylor Jenkins Reid als auch Emma Gannon haben neue Romane, die beide im Frühjahr erscheinen. Davon erfahren habe ich jeweils in ihren Newslettern. Die beiden höchst produktiven Autorinnen haben nämlich noch etwas gemein: sie sehen Instagram kritisch, verbringen möglichst wenig Zeit auf Social Media und lagern die Betreuung ihrer Accounts zumindest streckenweise aus. Im Gegensatz dazu lautet der wohl häufigste Rat an Debütautor:innen und solche, die es werden wollen: bau dir erst einmal eine starke Community auf Instagram auf.
Klar, denkt ihr jetzt vielleicht: Gannon und Jenkins Reid haben beide Bestseller veröffentlicht und Follower im fünf- bis sechsstelligen Bereich – die können sich den Luxus, nicht ständig mit Stories und Reels um Sichtbarkeit kämpfen zu müssen, leisten. Die Frage, die mich beschäftigt, ist: Können es sich Autor:innen, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, an diesem Punkt leisten, ihre Energie in Instagram und Co zu stecken?
Um Ideen in Texten zu verdichten und kreative Projekte vom Umfang eines Buches umsetzen zu können, braucht es das, wofür Cal Newport in seinen gleichnamigen Büchern plädiert: Deep Work und Slow Productivity. Ersterem stellt der Autor „Busy Work“ gegenüber – eine Art Pseudo-Produktivität, die sichtbare Aktivität mit tatsächlichem produktivem Einsatz gleichsetzt. Klingt für mich ziemlich nach Don’t-break-your-posting-streak.
Ja, Sichtbarkeit ist heute wichtiger denn je. Ich weiß aus Erfahrung, wie gut es sich anfühlt, mit den eigenen Ideen gesehen zu werden und sich mit Gleichgesinnten darüber auszutauschen zu können. In den vergangenen Jahren haben Soziale Medien es zahlreichen Autor:innen ermöglicht, die traditionellen Gatekeeper der Buchbranche zu umgehen und sich online kostenlos eine treue Leser:innenschaft aufzubauen. Inzwischen sind Instagram und Co selbst zum großen Gatekeeper geworden. Die über sie bezogene Aufmerksamkeit ist schließlich nur geborgt.
Die Zeit und Energie, die den meisten von uns für kreative Arbeit zur Verfügung steht, ist begrenzt. Die Rechnung ist einfach: Verwendest du sie aufs Schreiben, wirst du mit der Zeit zu einer besseren Autorin bzw. einem besseren Autor. Investierst du sie in die Produktion von Content, macht dich das über kurz oder lang, naja, zu einem besseren Content Creator. Versteht mich nicht falsch: ich bin die erste, die dafür plädiert, sich neue Skills anzueignen. Aber letztendlich läuft es auf das Sprichwort Where attention goes, energy flows hinaus.
Eine befreundete Autorin wurde kürzlich von einer namhaften Unternehmensgruppe für einen Vortrag angefragt. Als sie auf das Honorar zu sprechen kam, hieß es, ein Budget gäbe es dafür nicht wirklich, aber sie könne ja einen Büchertisch aufbauen, es wäre immerhin Werbung für sie. Autor:innen direkt oder indirekt dazu zu drängen, Instagram zu bespielen und dort virtuelle Büchertische aufzubauen, kommt einer Aufforderung zu (noch mehr) unbezahlter Arbeit gleich.
Nun gibt es durchaus Autor:innen, für die Instagram ein bereicherndes kreatives Outlet darstellt – Amy McNee von @inspiredtowrite ist ein gutes Beispiel dafür (siehe Podcast-Link am Ende des Beitrags). Wenn dir Instagram als ideales Tool erscheint, um deine Stimme zu finden und sie für deine Anliegen einzusetzen, use it! Wenn aber eine einzelne Plattform zum Maß aller Dinge und ihre Nutzung zur Voraussetzung erhoben wird, um als Autor:in ernstgenommen zu werden, wird das Ganze problematisch. Damit tun wir weder der nächsten Generation von Autor:innen, noch ihren Leser:innen einen Gefallen.
"What I find particularly alarming from the point of view of American fiction is that [social media] is a coercive development, agents will now tell young writers: 'I won't even look at your manuscript if you don't have 250 followers on Twitter' (…) I see people who ought to be spending their time developing their craft, and people who used to be able to make a living as freelance writers, I see them making nothing and coerced into this constant self-promotion."
Jonathan Franzen
Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 2013. Als Jonathan Franzen damals in einem Interview auf BBC Radio 4 gegen Twitter wetterte, wurde er als weltfremd, fortschritts- und technologiefeindlich verspottet. Literaturagent:innen und Verleger:innen gaben sich schockiert darüber, dass einer der erfolgreichsten amerikanischen Autoren diesen „Nonsense“ zu glauben schien. Wie auch immer man zu Franzen stehen mag, aus heutiger Sicht betrachtet ist die dreistellige Followerzahl das Einzige, was an seinen Worten absurd anmutet.
Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Immer mehr Autor:innen ziehen sich von Instagram und Co zurück und erhalten von ihren Kolleg:innen und ihrer Leser:innenschaft regen Zuspruch dafür. Zu lesen gibt es von ihnen trotzdem, oder gerade deshalb, reichlich.
"I often get asked 'how do I grow my platform?' and I feel it is asking the wrong question. What does it even mean, out of context? You can’t ‘grow’ a platform. But you can grow your interests, your career, your curiosity, your work, your output, your skills, your readership, your hobbies. Your stamp on the world. That’s where the focus should be. Material first, platform second."
Emma Gannon
“Als Kreative:r ist deine Perspektive deine Nische”, lautet der Titel der Kolumne, die ich vor ein paar Monaten für Good At geschrieben habe. Jede:r hat verschiedene Interessen, Talente und Voraussetzungen. Auf sie zu vertrauen und sich von ihnen leiten zu lassen, ist der beste Weg, eine eigene Perspektive zu kultivieren – und zu kommunizieren. One-size-fits-all-Rezepte werden dieser Vielfältigkeit nicht gerecht. Wenn es nicht zu dir passt, verwandelt sich das vermeintlich effektivste Tool in einen Bremsklotz. Zu fordern, alle Autor:innen sollten auf Instagram aktiv sein, ist wie zu behaupten, alle Influencer:innen sollten ein Buch schreiben. I doubt it.
Zur Erinnerung, weil wir es gerne vergessen: Instagram ist noch keine 15 Jahre alt. Für Autor:innen galt es aber immer schon Wege zu finden, ihre Arbeit in die Welt zu tragen und es auf den TBR-Stapel potenzieller Leser:innen zu schaffen. So unpopulär sie sein mag, die nachhaltigste Strategie scheint mir die zu sein, die Amy McNee vor dem Launch ihres neuen Buches verfolgt: „Being brilliant and waiting for people to notice“. Während das für sie bedeutet, neben der Arbeit an ihrem nächsten Roman regelmäßig Beiträge auf Substack und Youtube-Videos zu veröffentlichen, heißt das für andere vielleicht, ihre Ideen in einem Literaturverein oder bei Poetry Slams zu entwickeln, ihre Perspektive in Artikeln, Kurzgeschichten, Foren oder einem Podcast zu vermitteln, Texte bei Schreibwettbewerben einzureichen, auf Literaturseiten oder einen Blog zu stellen, sich mit lokalen Buchhändler:innen, Buchclubs, anderen Autor:innen etc. zu vernetzen oder oder oder.
Taylor Jenkins Reid habe ich vor Jahren über eine Freundin beim Fantastic Female Book Club entdeckt. Auf Emma Gannon bin ich zufällig in einem Podcast gestoßen. Ich bin gespannt, wo ich meiner nächsten Lieblingsautorin begegnen werde, höchstwahrscheinlich nicht auf Instagram.
Meinungsbuffet
Verschiedene Perspektiven zum Thema:
Is 2025 the year of the “social media ick”?: Emma Gannon spricht sich in ihrem Substack The Hyphen für die Illoyalität von Kreativen gegenüber Social Media Plattformen aus.
How to be an Artist on Social Media: Amy McNee spricht mit James Winestock im Unpublished Podcast über Content Creation als eigene Kunstform mit Parallelen zum Schreiben, Musik und Co.
Making Time: Creativity over Productivity: Maria Bowler unterscheidet im Off the Grid Podcast by Amelia Hruby zwischen Produktivsein und Kreieren und hinterfragt dabei das Return-on-Investment-Denken.
Deep Work vs. Shallow Work: Austin Kleon zeigt in seinem Instagrampost Fallstricke für Kreative im Deep Work-Modell auf.
What do writers gain – and lose – when the eschew social media?: Stephanie Merritt von The Guardian sieht in der Abkehr von Social Media ein Statement hinsichtlich des Vertrauens in die eigene Arbeit.
PS: Das nächste Lesemenü ist bereits in Arbeit und es wird GROSS.
Ein super spannender Input, danke Sarah. :) Mich beschäftigt das Thema beruflich eigentlich dauernd in meinen Projekten mit Einzelunternehmer:innen und Kleinunternehmer:innen.
Ich halte es für einen hinderlichen Irrglauben, dass alle und alles auf Social Media (aktuell insbesondere Instagram und/oder TikTok) stattfinden muss, um Erfolg zu haben. Vor allem dann, wenn mehr Zeit in Contentproduktion investiert werden "muss" als in die eigentliche Leidenschaft oder das Business.
Formidabel! Liebe Grüße von der Büchertischkollegin :)